Archivierter Inhalt

Außenpolitik und Krieg: Ist Barack Obama ein „Obamacon“?

23. Januar 2009
Von Michael Werz
Für die Außenpolitik bedeutet Obama ein Neuanfang mit begrenzter Haftung und deutlichem Führungsanspruch, in dessen Sprache sich Motive wiederfinden, die eigentlich zum Repertoire der Neokonservativen gehörten. Eine Sprache wie die der "Obamacons", konservativer US-Wähler, die sich 2008 doch für den Demokraten Obama entschieden.

Von Michael Werz

Barack Obama hat in seiner Antrittsrede einen konzilianten außenpolitischen Ton angeschlagen. Die vielleicht wichtigste sprachliche Neuerung gegenüber der alten Administration ist seine Entscheidung, nicht vom „Krieg gegen den Terror“ zu reden. Vielmehr wählte er eine beschreibende Formulierung und sprach von „Netzwerken der Gewalt und Hasses“, die bekämpft werden müssen.

Diese klare Abgrenzung von der übertriebenen Kriegs- und Durchhalterhetorik seines Vorgängers ergänzte Obama allerdings mit einer emphatischen Bekräftigung militärischer Gewalt, um Freiheit zu erlangen oder größeres Unheil zu verhindern. In einer Passage sprach er von der Schuld gegenüber früheren Generationen, „für uns haben sie gekämpft, für uns sind sie gestorben – an Orten wie Concord oder Gettysburg; in der Normandie oder Khe Sahn.“

Der Krieg – ein Bestandteil amerikanischen Selbstverständnisses

Diese unvermittelt affirmative Rede vom Krieg ist für europäische Ohren ungewohnt, in die amerikanische Tradition jedoch fest eingewoben. Während in Europa das Wort „Krieg“ Erinnerungen an den nationalsozialistischen Griff, an Weltmacht und Vernichtungskampagnen hervorruft, sind die Bilder in den Vereinigten Staaten andere.

„War“ setzt nicht selten positive Assoziationen frei; der Krieg wird als gerecht, fortschrittlich und antiaristokratisch wahrgenommen. Wenn Obama Concord erwähnt, bezieht er sich auf den revolutionären Kampf gegen die englische Kolonialmacht: In Gettysburg fand die blutigste Schlacht des Bürgerkrieges statt; ein Krieg, der die Union zu bewahren und die Sklaverei zu bekämpfen half. Die zweite Intervention auf dem europäischen Kontinent in der Normandie ist ein ebenso wichtiger Bestandteil amerikanischen Selbstverständnisses: Die Europäer waren weder willens noch in der Lage, Faschismus und Konzentrationslager-Praxis zu überwinden.

„War“ – eine gesellschaftspolitische Kraftanstrengung?

War“ ist also aus legitimen historischen Gründen als Verteidigung und Wiederherstellung von Demokratie in die amerikanische Geschichte eingegangen. Hinzu kommt, das die Freiwilligenarmee zugleich als große Integrationsmaschinerie von Einwanderern und Minderheiten fungiert; so ist die Bedeutung von „war“ weniger die einer rein militärischen Landnahme, sondern eher die einer gesellschaftlichen Kraftanstrengung.

So nannte Franklin D. Roosevelt seine Programme zur Armutsbekämpfung „War on Poverty“, Richard Nixon sprach vom „War Against Communism“ in einem weit reichenden politischen Zusammenhang, und Bill Clinton erklärte einen „War on Drugs“. Wenn in den Vereinigten Staaten vom Krieg gesprochen wird, ist etwas Großes gemeint, ein lang anhaltendes Problem, das mit einfachen, pragmatischen Mitteln nicht gelöst werden kann. „War“ hat mehr gemeinsam mit der traditionellen Bedeutung des „Dschihad“ als mit dem „Krieg“ europäischer Prägung.

Freiheitsversprechen und militärische Gewalt schließen sich nicht aus

Barack Obama bezog sich auf diese Traditionslinie, als er davon sprach, dass „ sich frühere Generationen dem Faschismus und dem Kommunismus [an dieser Stelle verabschiedete sich das chinesische Staatsfernsehen aus der Live-Übertragung] entgegengestellt haben – und zwar nicht nur mit Bomben und Panzern, sondern vor allem mit belastbaren Allianzen und starken Überzeugungen.“ Militärisches Handeln wird in seiner Administration nicht im Vordergrund stehen, aber auch nie ausgeschlossen sein. Entgegen der Phrase, dass Krieg immer schlecht sei, beharrt auch er darauf, dass Gewalt nicht wertneutral, Krieg nicht gleich Krieg und Angriff nicht gleichbedeutend mit Verteidigung ist.

Sich Herausforderungen im Innern und Äußeren zu stellen bezeichnete Obama als „Preis und Versprechen der [amerikanischen] Bürgerrechte“. Das ist durchaus wörtlich gemeint, denn seit dem späten 18. Jahrhundert beinhaltet die Eidesformel, die neue Staatsbürger ablegen, einschlägige Formulierungen.

Nicht nur wird jedem fremden Herrscher die Gefolgschaft abgeschworen, sondern es gibt auch die Verpflichtung, die „Verfassung und Rechte der Vereinigten Staaten gegen alle Feinde im Äußern wie im Innern aufrechtzuerhalten und zu verteidigen“ und „für die Vereinigten Staaten die Waffe [zu] führen, wenn vom Gesetz verlangt“. Diese robusten Anforderungen aus der Emanzipationsepoche und der universelle Anspruch der amerikanischen Verfassung bilden eine in der westlichen Welt einmalige Verknüpfung von Freiheitsversprechen und militärischer Gewalt.

Fehlende Neubewertung des Vietnamkriegs

Dass Barack Obama allerdings die besser unter dem Codenamen Operation Pegasus bekannte Schlacht im nordvietnamesischen Khe Sahn in einem Atemzug mit Concord, Gettysburg und der Normandie nannte, zeigt die Grenzen seiner Abkehr von der düsteren Tradition militärischer Expeditionen. Ebenso fraglos wie er im Wahlkampf die konservative Rhetorik übernahm, wonach Terroristen „gefangen genommen oder getötet“ werden müssten, so wenig scheint er bereit, die notwendige Neubewertung des Vietnamkriegs zu seiner Sache zu machen. In Khe San errangen die US-Marines Anfang 1968 mit Hilfe massiver Luftbombardements einen taktischen Sieg, der zwar wegen der harten Kämpfe in die Populärkultur einging, aber für den Krieg ohne größere strategische Bedeutung war und zwischen zehn- und fünfzehntausend Toten auf vietnamesischer Seite zur Folge hatte.

Der Vietnamkrieg, in den die USA sich ohne Not und Notwendigkeit begaben, hat ungeheure Verluste zur Folge gehabt. Eine Million vietnamesischer Zivilisten, neunhunderttausend Soldaten der nationalen Befreiungsfront und über siebenundvierzigtausend amerikanische Soldaten verloren ihr Leben. Auf der Washington Mall steht ein Denkmal dieses verlorenen Kriegs, der auch durch den internen, demokratischen und militanten Protest in den USA unführbar wurde.

Seine Ästhetik ist nicht triumphalistisch, sondern strahlt eher Bescheidenheit und Trauer aus. Der Bau wurde gegen Proteste und Bedenken derer durchgesetzt, die ein traditionelles Kriegsdenkmal wollten. Es unterscheidet sich aus gutem Grund von den Monumenten zur amerikanischen Revolution und dem Zweiten Weltkrieg – es gehört in eine andere Tradition. So bleibt Barack Obama mit seiner Reihung von Concord, Gettysburg, Normandie und Khe Sahn auf halbem Wege eines grundlegenden Überdenkens und der Erneuerung amerikanischer Außenpolitik stehen.

Neuanfang mit altem Führungsanspruch

Es handelt sich um einen Neuanfang mit begrenzter Haftung aber deutlichem Führungsanspruch, in dessen Sprache sich Motive wiederfinden, die eigentlich zum Repertoire der Neokonservativen gehörten. Sie sind erweitert um das Versprechen der gegenseitigen Anerkennung. An die „muslimische Welt“ gerichtet sagte Obama: „Wir suchen einen Weg nach vorn, einen Weg, der den Interessen beider Seiten genügt, auf dem Fundament eines beidseitigen Respekts.“

Das ist neu, doch die gleich darauf folgende Warnung hätte auch vom alten Präsidenten stammen können: „Seid euch bewusst, dass ihr auf der falschen Seite der Geschichte steht.“ Von dieser Position wird auch die neue Regierung kaum zurückweichen. Obamas programmatische Formulierungen zu Krieg und Frieden sind den Erfahrungen eines selbstzerstörerischen Europas im 20. Jahrhundert geschuldet, aber sie beziehen sich inzwischen auf eine außereuropäische Welt.

 

Michael Werz ist Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States und Adjunct Professor am BMW Center for German and European Studies an der Universität von Georgetown in Washington DC.